Das aktuelle Krisenszenario ist für die Friedensforschung keine
Überraschung.
MARTIN BEHR (Artikel in den
Salzburger Nachrichten vom 20. November 2015)
Der Terror sei die lauteste Antwort
auf die bedrückenden Zustände, die durch das Ungleichgewicht zwischen der
Wohlstandsgesellschaft und der Dritten Welt entstanden sind, sagt der
Friedensforscher Karl Kumpfmüller. Er konstatiert einen Missbrauch der Religion
und hält nichts davon, wenn Frankreich jetzt in einen „Krieg“ ziehen will.
SN: Kriege, große Flüchtlingsbewegungen, Terroranschläge. Ist die
Zeit, in der wir leben für einen Friedensforscher frustrierend?
Karl Kumpfmüller: Wir leben in einer aufregenden,
bedrohlichen Zeit. Es passiert genau das, was die Friedensforschung vor rund 40
Jahren bereits klar gesagt hat: Wenn wir die Armut in der Dritten Welt nicht
bekämpfen, werden diese Menschen vor unserer Tür stehen und kämpfen. Und: Ihnen
wird jedes Mittel recht sein, weil sie nichts mehr zu verlieren haben.
SN: Die Forschung hat dieses Szenario
vorhergesehen?
Ja. Johan Galtung, der Begründer der
Friedens- und Konfliktforschung, sprach immer schon vom Dritten Weltkrieg im
doppelten Wortsinn. Dieser findet längst statt, ist aufgesplittert in viele
Einzelkriege, die aber alle das gleiche Muster haben: der Aufstand der Armen
gegen die Reichen. Trotz der Warnungen der Wissenschafter hat es die internationale
Politik konsequent vermieden, die Kluft zwischen arm und reich zu verringern.
Das rächt sich jetzt auf dramatische Weise.
SN: Was wäre zu tun gewesen?
Den ärmeren Staaten mehr
Finanzmittel geben und weniger Ausbeutung zu betreiben. Heute müssen die
ärmeren Länder jährlich 500 Milliarden Euro Schuldenrückzahlung aufbringen, im
Gegenzug bekommen sie 120 Milliarden Entwicklungshilfe. Das heißt: Wir
unterstützen damit das Bankensystem, den Betroffenen bleibt nichts. Wir haben
das alle lange verdrängt, jetzt, wo die Menschen in Europa sind, wird uns das
Elend bewusst.
SN: Sind Sie optimistisch, dass die
Ursachen der Armut in diesen Ländern jetzt wirksam bekämpft werden?
Leider nein. Obwohl über Jahrzehnte
Wissenschafter, Sozialarbeiter, Seelsorger und andere gewarnt haben, ist nichts
geschehen. Jetzt brauchen wir schon ein Vielfaches der finanziellen Mittel, um etwas
zu bewegen. Und das hätte nur langfristig Erfolg. Derzeit wird man aber nur
militärisch aktiv, damit kann man nur einer Hydra den Kopf abschlagen. Das
Problem bleibt aber bestehen.
SN: Welche Rolle spielt der Terror?
Der Terror ist die lauteste Antwort
auf diese bedrückenden Zustände. Die Religion ist, anders als allgemein vermutet,
nicht das Problem. Alle Religionsgemeinschaften haben immer wieder deutlich auf
das schreiende Unrecht hingewiesen. Es gibt auch vom Islam große Anstrengungen,
im humanitären Bereich zu helfen, Banken aus arabischen Staaten gemäß ihrer
Wirtschaftskraft zahlen mehr Entwicklungshilfe als der Westen.
SN: Und der islamistische Terror wie
jener von Paris?
Religion kann natürlich missbraucht
werden, das wissen wir aus der eigenen christlichen Geschichte nur allzu gut.
Namhafte Historiker weisen darauf hin, dass keine Religion ihre Geschichte so
sehr mit Blut geschrieben hat wie das Christentum. Aber Schuldzuweisungen wie
diese bringen uns nicht weiter. Wichtig ist, dass das, was wir als islamistischen
Terror bezeichnen, mit Religion nichts zu tun hat. Terror ist in seiner Natur
immer ein faschistisches Konstrukt. Totalitarismus hat in der Geschichte immer mit
Terroraktionen begonnen. Das wird leider oft vergessen.
SN: Wie kann man den Terror wirksam
bekämpfen?
Die westliche Politik und die USA befinden
sich in einem Dilemma. Die schreckliche Terrorwelle, die den Westen auf immer
brutalere Weise heimsucht, hängt mit der einstigen Entscheidung des ehemaligen US-Präsidenten
George W. Bush zusammen, einen flächendeckenden Krieg gegen den Terror führen
zu wollen. Das hat zu Millionen unschuldigen Opfern im Irak, Afghanistan und
Syrien geführt. Der deutsche Publizist Jürgen Todenhöfer hatte damals schon
prognostiziert, dass sich die Opferzahlen über den individuellen Terror verhundertfachen,
wenn nicht vertausendfachen. Todenhöfer bekommt leider immer mehr recht.
SN: Ist also keine Lösung in Sicht?
Es ist derzeit unmöglich von einer Lösung
zu sprechen. Niemand hat eine Lösung. Wenn jetzt als Antwort auf die Attentate
in Paris, die Bombardements erhöht werden, wertet dies die Terroristen nur auf.
Sie werden zu wichtigen Figuren in der Weltpolitik. Ich halte nichts davon, wenn
Frankreich in einen „Krieg“ ziehen will. Frankreich muss den Terror bekämpfen. Mit
erhöhten Sicherheitsmaßnahmen, aber auch mit mehr interkultureller Integration.
Man muss sich endlich der Jugend, die in den Vorstädten keine Zukunft hat,
widmen.
SN: Und wie kann der Syrienkrieg beendet
werden?
Es ist ein ungewollter Erfolg des jüngsten
Terroranschlages, dass es erstmals gemeinsame Gespräche aller Beteiligten zur
Konfliktlösung gab. Unter Einschluss von Baschar al-Assad sollte jetzt rasch
ein Waffenstillstand ausgehandelt werden. Es ist auch eine Chance, dass nun Wladimir
Putin unter Zugzwang steht, auch er braucht in seinem eigenen Land Erfolge in
der Syrienkrise.
SN: Kurz nach Österreich. Kann das
Flüchtlingsthema die Gesellschaft spalten?
Es ist schade, dass die
Bundesregierung bislang kein klares Profil erkennen lässt. Man ist nicht
gewillt klar zu stellen, dass man Kriegsflüchtlinge bedingungslos aufnehmen will.
Natürlich habe auch ich Zweifel, ob in Österreich eine immer größer werdende
Zahl an Flüchtlingen ,demokratieverträglich’ wäre: Die Bevölkerung ist einfach nicht
darauf vorbereitet, dass sie ihren Wohlstand teilen muss. Es ist daher zu
befürchten, dass eine primitiv-populistische Politik, die behauptet, es gäbe
keinen Grund zu teilen, Oberhand gewinnt. Deswegen wird sich auch leider eine
Politik durchsetzen, die auch Flüchtlinge mit einem realen Asylgrund abweisen wird.
SN: Unweit des
Flüchtlings–Sammelzentrums in Spielfeld kam es am Sonntag zu Prügeleien zwischen
rechten und linken Demonstranten? Sinkt die Hemmschwelle der Gewalt?
Mehr als drei Jahrzehnte
politischer Bildung haben zu einer Zivilgesellschaft geführt, die zu sozialem
Engagement bereit ist, und es gibt auch viele weltoffene, tolerante und
hilfsbereite Menschen in unserem Land.
Ob sich diese aber als gesellschaftliche
Mehrheit wird halten können, da
habe ich meine Zweifel. Wir haben nur eine Zukunft, wenn bei Konflikten auf
jegliche Anwendung von Gewalt im Umgang miteinander verzichtet wird. Gewalt führt
immer weg von einem notwendigen Konsens und spaltet die Gesellschaft.
Karl Kumpfmüller:
geboren 1947 in
Lambach, Friedens-
und Entwicklungsforscher,
Begründer desGrazer
Friedensbüros und des
Friedens-Instituts
in Stadtschlaining.