Dienstag, 24. November 2015

Aufstand der Armen gegen die Reichen



Das aktuelle Krisenszenario ist für die Friedensforschung keine Überraschung.
MARTIN BEHR        (Artikel in den Salzburger Nachrichten vom 20. November 2015)
Der Terror sei die lauteste Antwort auf die bedrückenden Zustände, die durch das Ungleichgewicht zwischen der Wohlstandsgesellschaft und der Dritten Welt entstanden sind, sagt der Friedensforscher Karl Kumpfmüller. Er konstatiert einen Missbrauch der Religion und hält nichts davon, wenn Frankreich jetzt in einen „Krieg“ ziehen will.
SN: Kriege, große Flüchtlingsbewegungen, Terroranschläge. Ist die Zeit, in der wir leben für einen Friedensforscher frustrierend?
Karl Kumpfmüller: Wir leben in einer aufregenden, bedrohlichen Zeit. Es passiert genau das, was die Friedensforschung vor rund 40 Jahren bereits klar gesagt hat: Wenn wir die Armut in der Dritten Welt nicht bekämpfen, werden diese Menschen vor unserer Tür stehen und kämpfen. Und: Ihnen wird jedes Mittel recht sein, weil sie nichts mehr zu verlieren haben.
SN: Die Forschung hat dieses Szenario vorhergesehen?
Ja. Johan Galtung, der Begründer der Friedens- und Konfliktforschung, sprach immer schon vom Dritten Weltkrieg im doppelten Wortsinn. Dieser findet längst statt, ist aufgesplittert in viele Einzelkriege, die aber alle das gleiche Muster haben: der Aufstand der Armen gegen die Reichen. Trotz der Warnungen der Wissenschafter hat es die internationale Politik konsequent vermieden, die Kluft zwischen arm und reich zu verringern. Das rächt sich jetzt auf dramatische Weise.
SN: Was wäre zu tun gewesen?
Den ärmeren Staaten mehr Finanzmittel geben und weniger Ausbeutung zu betreiben. Heute müssen die ärmeren Länder jährlich 500 Milliarden Euro Schuldenrückzahlung aufbringen, im Gegenzug bekommen sie 120 Milliarden Entwicklungshilfe. Das heißt: Wir unterstützen damit das Bankensystem, den Betroffenen bleibt nichts. Wir haben das alle lange verdrängt, jetzt, wo die Menschen in Europa sind, wird uns das Elend bewusst.
SN: Sind Sie optimistisch, dass die Ursachen der Armut in diesen Ländern jetzt wirksam bekämpft werden?
Leider nein. Obwohl über Jahrzehnte Wissenschafter, Sozialarbeiter, Seelsorger und andere gewarnt haben, ist nichts geschehen. Jetzt brauchen wir schon ein Vielfaches der finanziellen Mittel, um etwas zu bewegen. Und das hätte nur langfristig Erfolg. Derzeit wird man aber nur militärisch aktiv, damit kann man nur einer Hydra den Kopf abschlagen. Das Problem bleibt aber bestehen.
SN: Welche Rolle spielt der Terror?
Der Terror ist die lauteste Antwort auf diese bedrückenden Zustände. Die Religion ist, anders als allgemein vermutet, nicht das Problem. Alle Religionsgemeinschaften haben immer wieder deutlich auf das schreiende Unrecht hingewiesen. Es gibt auch vom Islam große Anstrengungen, im humanitären Bereich zu helfen, Banken aus arabischen Staaten gemäß ihrer Wirtschaftskraft zahlen mehr Entwicklungshilfe als der Westen.
SN: Und der islamistische Terror wie jener von Paris?
Religion kann natürlich missbraucht werden, das wissen wir aus der eigenen christlichen Geschichte nur allzu gut. Namhafte Historiker weisen darauf hin, dass keine Religion ihre Geschichte so sehr mit Blut geschrieben hat wie das Christentum. Aber Schuldzuweisungen wie diese bringen uns nicht weiter. Wichtig ist, dass das, was wir als islamistischen Terror bezeichnen, mit Religion nichts zu tun hat. Terror ist in seiner Natur immer ein faschistisches Konstrukt. Totalitarismus hat in der Geschichte immer mit Terroraktionen begonnen. Das wird leider oft vergessen.
SN: Wie kann man den Terror wirksam bekämpfen?
Die westliche Politik und die USA befinden sich in einem Dilemma. Die schreckliche Terrorwelle, die den Westen auf immer brutalere Weise heimsucht, hängt mit der einstigen Entscheidung des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush zusammen, einen flächendeckenden Krieg gegen den Terror führen zu wollen. Das hat zu Millionen unschuldigen Opfern im Irak, Afghanistan und Syrien geführt. Der deutsche Publizist Jürgen Todenhöfer hatte damals schon prognostiziert, dass sich die Opferzahlen über den individuellen Terror verhundertfachen, wenn nicht vertausendfachen. Todenhöfer bekommt leider immer mehr recht.
SN: Ist also keine Lösung in Sicht?
Es ist derzeit unmöglich von einer Lösung zu sprechen. Niemand hat eine Lösung. Wenn jetzt als Antwort auf die Attentate in Paris, die Bombardements erhöht werden, wertet dies die Terroristen nur auf. Sie werden zu wichtigen Figuren in der Weltpolitik. Ich halte nichts davon, wenn Frankreich in einen „Krieg“ ziehen will. Frankreich muss den Terror bekämpfen. Mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen, aber auch mit mehr interkultureller Integration. Man muss sich endlich der Jugend, die in den Vorstädten keine Zukunft hat, widmen.
SN: Und wie kann der Syrienkrieg beendet werden?
Es ist ein ungewollter Erfolg des jüngsten Terroranschlages, dass es erstmals gemeinsame Gespräche aller Beteiligten zur Konfliktlösung gab. Unter Einschluss von Baschar al-Assad sollte jetzt rasch ein Waffenstillstand ausgehandelt werden. Es ist auch eine Chance, dass nun Wladimir Putin unter Zugzwang steht, auch er braucht in seinem eigenen Land Erfolge in der Syrienkrise.
SN: Kurz nach Österreich. Kann das Flüchtlingsthema die Gesellschaft spalten?
Es ist schade, dass die Bundesregierung bislang kein klares Profil erkennen lässt. Man ist nicht gewillt klar zu stellen, dass man Kriegsflüchtlinge bedingungslos aufnehmen will. Natürlich habe auch ich Zweifel, ob in Österreich eine immer größer werdende Zahl an Flüchtlingen ,demokratieverträglich’ wäre: Die Bevölkerung ist einfach nicht darauf vorbereitet, dass sie ihren Wohlstand teilen muss. Es ist daher zu befürchten, dass eine primitiv-populistische Politik, die behauptet, es gäbe keinen Grund zu teilen, Oberhand gewinnt. Deswegen wird sich auch leider eine Politik durchsetzen, die auch Flüchtlinge mit einem realen Asylgrund abweisen wird.
SN: Unweit des Flüchtlings–Sammelzentrums in Spielfeld kam es am Sonntag zu Prügeleien zwischen rechten und linken Demonstranten? Sinkt die Hemmschwelle der Gewalt?
Mehr als drei Jahrzehnte politischer Bildung haben zu einer Zivilgesellschaft geführt, die zu sozialem Engagement bereit ist, und es gibt auch viele weltoffene, tolerante und
hilfsbereite Menschen in unserem Land. Ob sich diese aber als gesellschaftliche
Mehrheit wird halten können, da habe ich meine Zweifel. Wir haben nur eine Zukunft, wenn bei Konflikten auf jegliche Anwendung von Gewalt im Umgang miteinander verzichtet wird. Gewalt führt immer weg von einem notwendigen Konsens und spaltet die Gesellschaft.

Karl Kumpfmüller: geboren 1947 in
Lambach, Friedens- und Entwicklungsforscher,
Begründer desGrazer
Friedensbüros und des Friedens-Instituts
in Stadtschlaining.

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