Donnerstag, 14. Januar 2010

Die Stille in der Lesung

Lesung Michael Köhlmeier
Alte Schmiede am 11.01.2010


Ein Abendtermin fällt aus. Was für ein Glück. Ich habe Zeit und kann die Lesung von Michael Köhlmeier besuchen. Ich war schon lange nicht mehr in der Alten Schmiede. In einer Buchhandlung kaufe ich noch schnell Bücher von Renate Welsh, denn sie wird unsere Schreibgruppe nächste Woche im Rahmen eines Kamingesprächs besuchen. Ich frage den Buchhändler nach dem Weg. Alte Schmiede? Ja habe ich schon gehört, ich weiß aber nicht, wo das genau ist. Haben Sie keine Adresse?
Ich verlasse mich auf meine Intuition und mein Gedächtnis. Vor einigen Jahren war ich schon mal dort. Ich spaziere die Kärntnerstraße hinein, über den Stephansplatz, den Heilligen Kreuzer Hof in die Schönlaterngasse. Und – gefunden. Es ist eine halbe Stunde vor Lesungsbeginn, und ich bin überrascht, dass es noch so viele freie Plätze gibt. Wenn Köhlmeier keine Leute zu einer Lesung anzieht, was heißt das dann für Jungliteraten wie uns? Ich vertiefe mich in meine eben gekauften Bücher und spüre, dass der Raum sich zu füllen beginnt. Als ich rechts und links Körperkontakt spüre, weiß ich, der Saal ist voll. Der Veranstalter lädt die einströmenden und bereits stehenden Zuhörer ein, der Lesung im Nebenraum bei Videoübertragung zu lauschen.
Michael Köhlmeier betritt ein paar Minuten nach 19:00 den Raum, geht zum Rednertisch und setzt sich, einen guten Meter neben mir. Seine Haare sind kürzer als auf den üblichen Bildern, die ich von ihm kenne. Er wirkt etwas älter, als ich dachte. Mir wird bewusst, wie schnell doch die Zeit vergeht. Seit ich „Telemach“ gelesen habe, sind mehr als 10 Jahre vergangen. Der Moderator reißt mich aus meinen Erinnerungen. Er führt in das Werk von Köhlmeier ein, geht besonders auf das neue Buch „Mitten auf der Strasse“ – ein Sammelband mit Kurzgeschichten – ein. Köhlmeier beginnt zu lesen. Mir gefällt seine Art des Vortrags. Nervosität ist kaum zu spüren. Die Stimme ist klar, pointiert, und er nimmt sich Zeit für Pausen, hastet nicht durch den Text, sondern erfüllt ihn mit Leben. Die Geschichten sind einfach gestrickt, dennoch interessant.

Er liest vier kürzere Geschichten
- Die allertraurigste Geschichte (Steinzeit-Volk in Indonesien stirbt aus)
- Muchti, der Retter (unter anderem, wie man Flöhe los wird)
- Hr. Stiglitz und schöne Frau (Über einen schlechten Dichter und dessen schöne Frau)
- Muchti, Birnenstingl (Wie man von einer in Zeitlupe Birne essenden Frau im Zug in den Wahnsinn getrieben werden kann)
Und eine etwas längere Geschichte:
- Diebe der Straße

Das Publikum bedankt sich mit einem längeren Applaus. Die Stimmung ist positiv geladen und der Raum etwas stickig.
Moderator (M): Ihre Geschichten haben immer eine neue Wendung. Wie in 1001 Nacht, wo die Zeit hinausgezögert wird und immer eine neue Geschichte beginnt, bevor die alte zu Ende ist. Oder ich denke auch an Dekamerone ...

Michael Köhlmeier (MK): Ich bin so ein furchtbar untheoretischer Mensch. Aber ich bin ein guter Lügner. Wenn ich eine Frage beantworte, dann hole ich weit aus. Versuche, ein Faktum zu finden, das unbestreitbar ist oder eine Gemeinsamkeit darstellt, etwas Reales zu finden. Und dann erzähle ich meine Geschichte, meine Erfindung und hole mir so die Glaubwürdigkeit.

MK: Ich mag keine Metaphern. Ich sage es direkt. „Wenn es regnet, dann sage, dass es regnet."

M: Bei 1001 Nacht erzählt Scheherazade um ihr Leben zu retten. Sie erzählt dem Sultan eine Geschichte nach der anderen. Sie sagt das aber nie! Bei Ihren Erzählungen gibt es auch immer noch eine weitere Wendung. Wie z.B. beim Silber-Löffel. Wie ist es da mit der Mischung Facts und Fiction?

Aus dem Publikum an den Moderator: Haben Sie das Buch geschrieben?

MK: Das war keine schöne Frage. - Pause - Polemisch, mit dem Zweck, ihn zu kränken.

Aus dem Publikum: Das tut mir Leid. Das wollte ich nicht. Ich wollte nur witzig sein.

Stille.

Eine Wortmeldung aus dem Publikum (direkt neben Rednertisch): Ihre Lesung war so getragen und stimmungsvoll. Und jetzt. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Die Stimmung ist jetzt so schwer … so gedrückt …

Stille.

Ich bin überrascht. Wie schnell doch eine Stimmung kippen kann. Durch so eine Banalität. Warum ist der so intensiv darauf eingegangen? War ihm das so wichtig? Ich will eine Frage stellen. Nur, um das Schweigen zu brechen. Um der Diskussion eine neue Richtung zu geben.

Georg Rejam: Haben Sie ein Muster beim Schreiben? Wissen Sie das Ende einer Geschichte schon am Beginn? Und hat sich Ihr Schreibprozess im Laufe der Jahre verändert?

MK: Vertrauen in die Figuren. Damit gewinne ich Gelassenheit. Es ist die Geschichte der Figur. Wenn die Geschichte scheitert, dann scheitert die Figur - nicht ich. Das habe ich gelernt. Und ich lasse mich von meinen Figuren überraschen. Als Schriftsteller weiß ich auch nicht, wie die nächste Seite weitergeht.
Im Abendland sagt eine Figur: „Er hat eine Stiefschwester ..." Da war ich sehr überrascht. Wozu noch eine Stiefschwester? Ich habe doch schon genug Figuren. Aber im Leben werden auch nicht immer alle angefangenen Handlungsmuster weitergeführt. Vieles wird einfach fallengelassen. So wie in Amerika von Kafka. Da führt er am Beginn eine Figur ein, den Heizer. Imposant. Und dann taucht sie später nicht mehr auf.

Noch zwei, drei weitere Fragen, dann wird die Veranstaltung recht abrupt beendet. Ich war froh, dabei gewesen zu sein. Kaufe ein Buch und hole mir eine Widmung. Eine Erinnerung.

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